Schriftsteller Bukowski: Mythos aus Bars und Betten, Sex und Verstopfung, Gewalt und Gl?ckspiel
Die Kunst des Verlierens
Der Borderline-Barde Charles Bukowski ist postum die Kultfigur einer neuen Generation. (von Gundolf S. Freyermuth)
Es gibt Generationen, die wollen nicht gehen. Wer in den Sechzigern und Siebzigern – wie man doppeldeutig sagte – ?voll? dabei war, irrlichtert heute in der Regel als Zombie durch die Medien. Seit Jahren Gehirntote plappern auf allen Kan?len. Die unerm?dlichste Sorte schlurft weiterhin kleidungsfrei oder wenigstens barfuss durch Hollywood. Nur bei Charles ?Hank? Bukowski l?uft alles anders. Und zwar besser.
Kaum ein Jahr vergeht, ohne dass ein Buch von ihm erscheint, Lyrikb?nde vor allem. Die neueste Lieferung ist gerade eingetroffen, mit dem sch?nen Titel: ?Come On In! – New Poems?. Kaum ein anderer: zeitgen?ssischer Dichter gebietet ?ber. solch? konstante Schaffenskraft. Bukowski freilich ruht seit Beginn seiner produktiven Altersperiode zwischen zwei Pinien unter einer schlichten Grabplatte.
Zu Lebzeiten hackte er daf?r Nacht f?r Nacht mehr in die Maschine, als der Markt verdauen konnte. Der akkumulierte Textberg wird nun vom Verleger John Martin abpubliziert.
Dazu kommt ein anschwellender Strom von wissenschaftlichen Biografien und popul?ren Erinnerungsb?chern, bis hin zum viel Cunnilinguistisches enth?llenden Manuskript der Ex-Geliebten Linda King, das gerade bei Verlagen kursiert – Ver?ffentlicht wurde auch schon, was das FBI ?ber bukowskistische Subversionen sammelte. Und dann ist da Bukowski, der Film. Matt Dillon spielt in ?Factotum? des Dichters jugendliches Alter Ego, und er macht es nicht schlecht, nur eben viel zu h?bsch.
Unverf?lschten Genuss verspricht dagegen Neues vom untoten Meister selbst: ?Schreie vom Balkon?; die ziegelsteinschwere Sammlung von Briefen aus ?ber 30 Jahren bietet den Rohstoff, aus dem einst der Bukowski-Mythos erwuchs: Bars und Betten, Sex und Verstopfung, Gewalt und Gl?cksspiel.
Bukowski, dem Briefe ?ein gutes Training f?r die schlaff gewordene Seele? waren, zeigt sich in ihnen als pr?ziser Beobachter, belesen und beleidigend, am?sant, oft zum Schreien komisch. Genau so eben, wie er war, wenn man ihn traf, bis in jene Tage hinein, als keine Chemotherapie die Leuk?mie mehr stoppen konnte.
Damals im August 1993, am Tag vor seinem 73. Geburtstag, als ich ihn zum letzten Mal sah, wirkte er noch m?der als sonst, lebensm?de. Das bullige, in langen N?chten verwitterte Gesicht l?chelte schmal, der H?ndedruck war kindersanft. Unser beider Freund, der Fotograf Michael Montfort, umkreiste uns mit der Kamera und schoss Erinnerungsbilder, w?hrend wir, jeder einen Strohhut auf dem Kopf, uns neben den Pool in die kalifornische Sonne setzten und ?ber das fast abgeschlossene Werk sprachen, zu dem Bukowskis Leben geworden war.
?Ich hatte nie viel Gl?ck. Bis ich 50 wurde?, sagte er, mit einer Geste durch den bl?henden Garten fahrend. ?Da begann meine gute Phase.? Er lachte schadenfreudig auf. ?Hat ziemlich lange gehalten.?
Gutes wie Schlechtes, Ungew?hnliches wie Gew?hnlichstes: Alles eben, was dem Sohn einer deutschen Mutter und eines amerikanischen GIs zwischen der Geburt am Andernacher Rheinufer und den kalifornischen Altersjahren zustie?, verwandelte er in Literatur. Sechs Romane, unz?hlige Kurzgeschichten und Gedichte erz?hlen vom existentiellen Aufb?umen – gegen die Tyrannei von Familie und Schule, gegen Armut und Elend in der industriellen Gesellschaft, gegen die Zw?nge des Lebens selbst, den unaufhaltsamen Niedergang in Alter und Tod. Er zelebrierte eine seltene Kunst – die Kunst des Verlierens. Kindheit und Jugend erlebte er, vom Vater misshandelt und von Akne-Furunkeln entstellt, als Dauerdem?tigung. Seine selbstzerst?rerischen Fluchten in beliebige Sex- und Gewaltakte m?ndeten in den Zusammenbruch: Als Alkoholiker landete er mit Magenblutungen auf der Intensivstation. Der Schock, das Leben mit Mitte 30 beinahe verloren zu haben, bevor es irgendwelche Fr?chte trug, zwang ihn endlich an die Schreibmaschine. Auf der literarischen B?hne erschien Bukowski so versp?tet. Gedicht f?r Gedicht erschrieb er sich m?hsam in nicht zahlenden Underground-Bl?ttern eine Reputation als hartgesottener Reporter roher, meist r?udiger Alltagsszenen. 1960 erschien in winziger Auflage der erste Lyrikband, Anfang einer Kette von ?ber 50 B?chern.
Der Preis f?r solches ?berleben waren anderthalb Jahrzehnte Maloche, als Brieftr?ger und Postsortierer im Los Angeles Terminal Annex Post Office. Diese und andere Midlife-Qualen dokumentiert sein erster Roman ?Der Mann mit der Ledertasche?.
Dessen Erfolg markierte die Wende:
Ausstieg aus der Lohnsklavenexistenz und Aufstieg zu einem der popul?rsten Schriftsteller seiner Generation. ?Als N?chstes die Titelseite von ,Time Magazine?, spottete der pl?tzlich Gefeierte 1975, ?und enden wird es damit, dass ich die Beine um die Bettpfosten verknote und meinen eigenen Schwanz lutsche.?
Star-Status gewann er zun?chst in Deutschland, dann in anderen Teilen Europas. Auf dem H?hepunkt seines au?eramerikanischen Ruhms, vor ziemlich genau 20 Jahren und kurz bevor Barbet Schroeders Bukowski-Film ?Barfly? den schmutzigen Alten auch in den USA zum, wenn nicht ber?hmtesten, so doch in Buchl?den meistgeklauten Autor machte, traf ich ihn zum ersten Mal.
Jenseits der Fensterfront des alten Spago, einem beliebten Hollywood-Treff, glitzerte Los Angeles kalt und bunt. Diesseits der Scheiben, die Restaurant und Realit?t trennten, sa?en strahlende G?tter, George Hamilton etwa oder Arnold Schwarzenegger. Alles schien von falten-loser Makellosigkeit – bis Bukowski den Raum betrat, ein Brocken von Mensch, nicht rank und schlank, sondern bullig und bierb?uchig, das Gesicht nicht glatt, sondern tief vernarbt und von hinterh?ltiger Intelligenz.
Wir sprachen ein wenig ?ber irgendetwas. Bis wir von einem prominenten Todesfall h?rten. ?Auf das Arschloch?, hob Hank gutgelaunt sein Glas. ?Jetzt kann er kaum noch Schaden anrichten. Wenn wir das Atmen erst mal eingestellt haben, reicht?s gerade mal zu ein bisschen Umweltverschmutzung, und das war?s dann.? Sp?ter, viele Gl?ser sp?ter wollte er Schwarzenegger verpr?geln.
Immer schon drohte so Bukowski, der eher sch?chterne Mensch, hinter einem subkulturellen Software-Programm zu verschwinden, einer Art ?Bukowski 2.0?, einem mythischen Mischwesen aus Leben und Literatur. Gegenw?rtig nun, ?ber ein Jahrzehnt nach seinem Tod 1994, erleben wir den n?chsten radikalen Upgrade-Versuch – ?Bukowski 3.0?, das multimediale Markenprodukt. Ein wucherndes Sammelsurium aus Biografien, Dokumentationen und Verfilmungen, aus B?chern, CDs und DVDs verbreitet seine Botschaft: Es gibt ein Leben jenseits der Wohlst?ndigkeit.
In Deutschland scheint Bukowski, der Dichter der Gosse, daher der Dichter der Stunde. Auf Kleinkunstb?hnen und in Buchl?den h?ufen sich Revuen und Lesungen, nach l?ngerer Verbannung taucht der einst so Ber?chtigte, dem selbst die ?Bild?-Zeitung 1994 zum Ableben einen Nachruf schenkte, regelm??ig wieder in Kulturradio und Kulturfernsehen auf, und Harald Schmidt erz?hlt in seinen gerade erschienenen fiktiven Tageb?chern ?Mulatten in gelben Sesseln?, wie es wirklich war, als Bukowskis Privatsekret?r.
W?hrend die Armut so von den schlechteren in die besseren Viertel kriecht, r?ckt auch Bukowski uns wieder n?her. ?Eine Rezession ist, wenn deine Freunde arbeitslos sind; eine Depression ist angesagt, wenn es dich selber erwischt.? Die Hoffnungen der Ausgeschlossenen, der ?lteren Armen wie der meisten Jungen, schwinden angesichts einer gro?en Koalition der Arrivierten und Privilegierten. Die Abkehr des begabten Verlierers von allem B?rgerlichen kann so zum Vorbild werden.
Wie Charles Chaplin auf dem H?hepunkt der Industrialisierung mit dem vor-industriell-arbeitsscheuen Tramp eine Traumfigur misslingender Anpassung und r?ckw?rtsgewandter Rebellion erschuf, in der die Opfer und Verlierer des Fortschritts sich wiedererkannten, so erfand auch Charles Bukowski sich selbst als asozialen Antipoden der Epoche: als postmodernen Penner und Verlebemann.
Vom fortgeschrittenen Kalifornien aus verachtete der Borderline-Barde die alte Verordnung der Dinge schon seit Jahrzehnten, bevor der Niedergang des Industrialismus auch Europa erreichte. Alle, die sich heute weiter an die lange obsolete B?rokratur klammern, k?nnen daher von ihm immer noch Zweierlei lernen.
Erstens das Loslassen: den r?cksichtslosen Abschied von unmenschlichen Idealen wie dem lebensl?nglichen Arbeitsplatz.
?Man bekommt als Sklave nie so viel, dass man sich davon freimachen kann; nur gerade so viel, dass man ?berlebt und am n?chsten Morgen wiederkommen muss. Ich konnte das damals ohne weiteres sehen. Warum nicht auch die anderen? Ich sagte mir: Da kann ich ja gleich auf Parkb?nken ?bernachten.?
Und zweitens das Zupacken, Selbstfindung und Selbstdisziplin: die Einsicht in die eigene Einmaligkeit und die daraus resultierende Notwendigkeit, begrenzte Lebenszeit nicht zu vergeuden, sondern f?r individuelle Ziele – und damit f?r das Fortkommen der Spezies – zu nutzen. ?Keiner wird je mit Hilfe des Staats zu etwas kommen. Jeder muss es aus eigener Kraft und eigenem Verstand und nach eigenen Gesetzen machen.?
Nicht, dass dergleichen stets oder gar unmittelbar von Erfolg und Anerkennung begleitet w?re: ?Trotz allem, was ich geschrieben habe, genie?e ich ungef?hr das Ansehen eines M?nchs, der in einer Kohlengrube eine Graugans vergewaltigt.?
Als Mensch wie als subkulturelle Marke steht Bukowski so vor allem f?r eins: Generalopposition zu versteinerten Verh?ltnissen. ?Wenn ich die Wahl hatte, durch ein Tor zu gehen oder eine Mauer zu rammen, habe ich jedes Mal die Mauer gerammt.? Und: ?Meine Revolution ist eine Ein-Mann-Revolution, und so gut wie jeder ist der Feind.?
Schl?gt man die letzte der 560 Seiten ?Schreie vom Balkon? um, hat man nichts weniger gelesen als einen faszinierenden Briefroman. Ihn verdanken wir Carl Weissner, Hanks Herausgeber, ?bersetzer und Freund. Genie?en l?sst sich, was er aus diversen US-Ausgaben und bislang un-ver?ffentlichtem Material montierte, als origin?res Gegenst?ck zu allen Marketing-Anstrengungen.
Auf Plastikt?ten und T-Shirts allerdings prangte Bukowskis Mount-Rushmore-Knitterkopf schon zu Lebzeiten. Und auch literarisch legte der Alte selbst das Fundament f?r den Upgrade vom Mythos zur Marke.
Zu Recht wird sein zuverl?ssiges Schaffen mit Fortsetzungsserien verglichen, wie man sie aus der Genre-Produktion kennt, von Western-Romanen, Comic-B?chern, Hollywood-Blockbustern oder TV-Serien. Sein ?sthetisches Ziel, sagte Bukowski beim letzten Gespr?ch, lasse sich in drei Buchstaben beschreiben: F-U-N. Viel und dauerhaften Spa?.
Vielleicht also w?rde ihn die aktuelle Mutation vom literarischen Mythos zur subkulturellen Multimedia-Marke am?sieren? Was aus ihm einmal werden k?nnte, scheint er jedenfalls geahnt zu haben. ?Ich glaube, was ich schreibe, ist ziemlich starker Stoff?, h?rt man Hank auf einer alten Aufnahme halb spotten, halb kokettieren: ?Aber ich glaube auch, wenn ich erst mal tot bin, werden sie mich vorf?hren. Ich werde richtig entdeckt werden, versteht ihr:
Bukowski!
Es wird zum Kotzen sein.?