Anita Berber (1899–1928), eine der ersten Nackttänzerinnen, Film- und Bühnenstar der 20er Jahre. Ihre Erscheinung: überirdisch anmutig und von obszöner Schönheit. Ihre Auftritte: neu, kühn und skandalös.
»Sie tanzte nackt, redete zotig und liebte, wen sie wollte. Wo immer sie auftrat, gab es Zoff. Bei ihren Zechtouren durch Bars und Nachtklubs reicht das Dekolleté bis zum knallrot geschminkten Bauchnabel. Zum Diner im legendären Hotel Adlon unter den Linden in Berlin erscheint sie mit grüngefärbtem Haar und Nerzmantel, darunter splitternackt. Im Sündenbabel der Städte ist Anita Berber die Königin der fiebrigen Nächte, in denen sich Lebenslust und Verzweiflung paaren.«
Mit 17 tanzt sie aus purer Langeweile als Elevin in der Berliner Tanzschule Rita Sacchetto – der bekanntesten impressionistischen Ausdruckstänzerin Berlins. Mit 18 arbeitet sie als Modell für Zeitschriften wie die Elegante Welt und Die Dame, besorgt sich selbständig Engagements an Berlins großen Varietébühnen, inszeniert dafür ihre eigenen Choreographien. Kritiker loben ihre überirdische Anmut, ihre »herbe Schlankheit«, bar jeder »konventionellen Süßlichkeit«. Mit 19 ist sie ein Star, reist zu Soloauftritten nach Wien und Budapest. Wenn sie tanzt, gibt sie alles, sie tanzt ihren unstillbaren Lebenshunger, »tanzt den Koitus« (Klaus Mann). Daneben dreht sie Filme.
Anita, die vaterlos aber doch behütet aufwuchs, hat sich weit von bürgerlichen Normen entfernt. Sie ist dreimal verheiratet, hat Affären mit Männern und Frauen.
Jahrzehnte vor Madonna und Co. sorgt Anita Berber nicht nur mit ihren Bühnenauftritten für Skandale. Die Berlinerin ist eine der ersten Nackttänzerinnen der westlichen Welt, ein Film- und Bühnenstar der 20er Jahre.
Als alkohol- und kokainexzessiver Star der homosexuellen Subkultur schockiert die Diva die bürgerliche Gesellschaft der Weimarer Republik und fasziniert sie zugleich: Nach einer kurzen Ehe mit Eberhard von Nathusius wirft sich „die Berber“ in das schillernde Berliner Nachtleben mit all seiner Dekadenz und Lasterhaftigkeit. Sie tanzt freizügig in der Nachtrevue der bekannten Lesbe Celly de Rheidt. Sie trägt als erste Frau Monokel und Männerkleidung, führt ihr Äffchen spazieren, sie trägt goldene Fussketten und lässt sich den Nabel rot schminken. Und lebt zusammen mit ihrer Geliebten, der Barbesitzerin Susi Wannowsky.
Sie bringt es auf drei Ehemänner und Dutzende von männlichen und weiblichen Geliebten, nebenbei lässt sie sich manchmal von Freiern wenn sie ihr gefallen für 200 Reichsmark (heute: 1.400 €) für eine Nacht kaufen.
»Als Anita am Kurfürstendamm aus dem Auto stieg – Zobelpelz, Monokel im grell bemalten Gesicht unter rotem Haarschopf -, blieben Passanten stehen, Huren liefen herbei, bildeten beinahe erfürchtig eine Gasse, durch die Anita ins Lokal stürmte«, berichtete ein Zeitgenosse.
In dem schwulen Tanzkünstler Sebastian Droste findet Anita 1922 einen probaten Partner für ihre außergewöhnlichen Choreografien. Das Publikum ist begeistert, die Zensur in Alarmstimmung. Ihre „Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase“, wie sie ihr erstes Tanzprogramm nennen, ist symptomatisch für ihrer beider kurzes leidenschaftliches Leben. Auch mit ihrem zweiten Tanzpartner, Henri Chatin-Hoffman, wohl ebenfalls schwul, feiert „die Berber“ große Erfolge.
Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere verewigt Otto Dix, neben Klaus Mann einer ihrer Freunde, sie in einem berühmten Porträt.
Sie spielt in mehr als 20 Filmen, an der Seite von Hans Albers, Emil Jannings und Heinrich George. Auch in Fritz Langs berühmten „Dr. Mabuse“ hat sie einen Auftritt. Bekannt wird Anita Berber vor allem durch eine der skandalträchtigsten Filmproduktionen der Weimarer Republik: Richard Oswalds „Anders als die Anderen“ von 1919 – dem ersten Film mit homosexueller Thematik weltweit. Der Film fiel der Zensur mehrfach zum Opfer und wurde schließlich gänzlich verboten.
»Ihr Körper war so vollkommen, dass ihre Nacktheit nie obszön wirkte.«
Leni Riefenstahl
»Sie lebte von einem Tag zum anderen oder, noch kürzer, von einer Stunde zur anderen. Geld bedeutete ihr nichts. Besitz war ihr egal. Sie gab im nächsten Moment aus, was sie kaum in der Tasche hatte. Ihre Verschwendungssucht war so organisch wie ihr ganzes Exzentrikdasein.«
Die Bühne
»Anita Berber gehört zu den pflanzenhaften Geschöpfen, die nicht wissen, was sie tun.«
Siegfried Geyer
»Wenn diese Frau tanzt, tanzt sie sich selbst. Es ist nicht ihre Phantasie, sondern ihre eigene innere Wesensart.«
Aus den Vernehmungsprotokollen des Landgerichts Wien
»Als einzig Ehrliche entlarvt sie den wahren Ton der Vergnügungsstätten und zeigt ebenso schamlos die Geschwüre und Krampfadern ihrer Umgebung wie George Grosz in seinen Bildern.«
Karl Schnog, Conferencier
»Die Repräsentation einer Generation – Anita Berber: Selten hat eine Frau ihr Leben so zerstört, wie diese von einem Dämon getriebene, gehetzte Tänzerin. Es ist, als ob sie alles, was ein Menschenleben ausmacht, in eine Spanne von zehn, zwölf Jahren bewußt hineingepreßt hat.«
Hans Held in: Film-Kurier«
Im Sommer 1928 bricht sie auf der Bühne eines Nachtclubs in Bagdad zusammen. Diagnose: Galoppierende Lungenschwindzucht. Die Sterbende gelangt nach einer wochenlangen, qualvollen Reise wieder nach Berlin, wo sie am 10. November 1928 in einem Kreuzberger Krankenhaus stirbt, 29 Jahre alt.
Vier Tage später ist die Beerdigung auf dem Friedhof der St.-Thomas-Gemeinde in Neukölln. Am Sarg des berühmt-berüchtigten Stars stehen Filmregisseure und Friedrichstrassen-Huren, Maler und Strichjungen, Unternehmer, Transvestiten, Barmixer und Hermaphroditen aus dem Kabarett „Eldorado“ und viele Gäste aus der „Weissen Maus“. Es ist das grösste und letzte Defilée des schrillen, des exentrischen, des hemmungslosen, des Kokain schnupfenden Berlins der „Wilden Zwanziger“.
Unglaublich faszinierend… Diese Szene fand ich schon immer höchst interessant, danke für diesen Eintrag! Ich frage mich, ob dieser Lebensstil eine Art ist, der absoluten Freiheit wirklich nahezukommen, aber das kann nur der Mensch für sich wissen, der so lebt. Hmm.. Ich glaube, diese Gedanken werden mich noch einige Zeit begleiten.. Nochmals Danke, dein Blog bereitet mir sehr oft sehr viel Freude – und auch Nachdenklichkeit. Ich wünsche einen schönen Tag!
wow. beeindruckend. aber wer sich mit der weimarer republik und dem versuch einer gesellschaftlichen revolution befasst, wird feststellen, dass viel angeschoben wurde. man denke nur an gräfenberg und die erfindung der spirale, oder margaret sänger und der versuch den menschen die lustvolle, angstfreie sexualität zu ermöglichen ohne angst vor ungewollten schwangerschaften. die versuche den §218 zu kippen. bildungschancen für die breite masse zu erreichen.
alles dinge, die durch weltwirtschaftskrise und den folgen mit dem dritten reich zum erliegen gekommen ist, respektive ins gegenteil verkehrt wurden.
und irgendwie erinnert mich besonders das ende an die kameliendame…
Das branstige Porträt von Dix kannte ich, wusste aber nicht, welch interessante Persönlichkeit dahinter steckt. (Ist wohl so, wenn es vordergründig um die Art und Weise des Abbildens geht und nicht mehr um das/den Abgebildete/n.)
Was die Obszönität der Nacktheit betrifft, gehe ich davon aus, dass Du den Begriff in anderer Bedeutung als die Riefenstahl verwendest. (Du: eher in Richtung „schamlos“, sie: in Richtung „unanständig“.) Oder?
Mir geht es wie babs, das bild kannte ich wohl.
War sogar mal auf einer Briefmarke, glaube ich.
–
Danke für diesen interessanten Artikel, den ich gerne verlink!
In letzter Zeit bist du ein wenig unpersönlich, kann das sein?
…wenn es denn der Befreiung der Frauen dient…!
Gut, jetzt wissen wir beide, wo Madonna klaute 😉
@vreivrau: Da hatte sich doch damals schon eine Frau befreit, findest Du nicht?
Lieber Gerd Braun,
on Sie mir weiterhelfen können? In Ihrer Bildergalerie zeigt das vorletzte Foto Anita Berber nackt mit geöffneten Mantel und Monokel. Ich suche nach einer zitierfähigen Quelle. Ob Sie mir bitte mailen könnten, woher Sie dieses Foto haben?
Ich bin ihnen sehr verbunden und grüße Sie herzlich, Anja
Jahrestag
in stillen Gedenken….