Persönliche Fragen und offene Antworten

Hi K.,

zuerst einmal: ich finde es schön, wenn Menschen beginnen, dort nachzudenken, wo zuvor nur Vorurteile herrschten 🙂

Deine Fragen mal chronologisch abgehakt, sonst wird noch ein Roman daraus:

[gibt es in Eurer „offenen Beziehung“ niemals (?) so etwas wie Eifersucht????]

Eifersucht ist unseres Erachtens etwas, was unsere Kultur und unsere Gesellschaft uns mit auf den Weg gegeben hat – sie ist nicht angeboren. Dieser emotionale Mischmasch aus Verlustängsten, Neid und Besitzdenken erfüllt(e) bestimmte gesellschaftliche Aufgaben, aber auf eine Art und Weise, welche unserer Meinung nach mehr schlecht als recht war: Das Leiden, dass sie in Beziehungen hineinbringt ist unserer Meinung nach eigentlich immer schlimmer als der Nutzen, den die zwei beteiligten Menschen daraus ziehen. Marcella hat das Glück, von dieser Prägung weitestgehend aus uns nicht ganz erschließbaren Gründen frei zu sein – irgendwie versagte bei ihr der Mechanismus, der fast allen anderen Menschen in unserem Kulturkreis diesen emotionalen Komplex kontinuierlich einhämmert. Bei mir war es etwas anders: Als Jugendlicher war ich fast krankhaft eifersüchtig! Aber ich schaffte es über einen sehr langen Zeitraum (>10 Jahre) voller einschlägiger Erfahrungen, in dem ich mich intensiv auf mannigfaltige Art und Weise mit meiner Eifersucht auseinander setzte, meine Eifersucht in ihrer wahren Natur zu erkennen und sie schließlich gar zu 'besiegen' – so sehr, dass sie wirklich nur noch eine sehr untergeordnete, meist nicht mehr spürbare Rolle in meinem Leben und meinen Gefühlen spielt. Ich habe erkannt, dass Eifersucht etwas gemachtes und zugleich nicht einfach so naturgegeben hinzunehmendes ist. Dass ich mich dagegen wehren konnte, sie durch erkennen fassbar und 'abbaubar' war. Ich habe sie schließlich als ein sehr schädliches Ding erkannt und aus meinem Ich quasi herausisoliert. Du glaubst gar nicht, wie befreiend das für mich war – und immer noch ist. Ein Leben ohne Eifersucht ermöglicht es (mir), das Leben ganz neu zu lieben!

[Und warum habt Ihr bei aller Unkonventionalität doch geheiratet???]

Wir sind nicht aus Prinzip unkonventionell – das wäre dogmatisch, ein Fehler der 68er btw. Nein, wir halten viel von der Institution Ehe, uns beide betreffend. Unsere Hochzeit war etwas wirklich sehr wichtiges für uns. Und das nicht nur hinsichtlich dessen, dass wir nun Kinder habe wollen, was rationell gesehen auch ein Grund war, jetzt zu heiraten. Denn wir denken diesbezüglich ganz konservativ, dass Kinder ein geregeltes, festes Umfeld brauchen, was imho die Ehe u.a. bieten kann – auch wenn sie diesen Kindern etwas abverlangt durch ihr offenes Prinzip. Was aber auch zu deren Entwicklung zu Toleranz und Weltoffenheit wesentlich beitragen kann.

[Ich hielt die „offene Beziehung“ bisher immer für die disziplinloseste und bequemste Art der Zwischenmenschlichkeit. Zur Zeit überdenke ich meinen Standpunkt hierzu aber(…)]

Eine offene Beziehung ist mitnichten disziplinlos und bequem, wie Du richtig zu erkennen beginnst: Die konventionelle Art der Beziehung ist meines Erachtens die weit bequemere, sichert sie doch ein Zugriffsmonopol auf den Partner und braucht daher bei weitem weniger Disziplin, scheut sie doch die Auseinandersetzung mit dem Einfluss des Äußeren und braucht diesbezüglich keine hohe Kultur der Auseinandersetzung darüber. Ich behaupte gar: in der offenen Beziehung ist der Dialog unter den beteiligten Partner ungleich gehaltvoller und intensiver als in der konventionellen, bekommt sie doch stets hochwertigen, die Beziehung betreffenden Input, wo bei der konventionellen Beziehung Totenstille und Schweigen über Ängste, Freuden und vermisste Potentiale und Wunscherfüllungen herrscht!

[Ist das die einzige Art, wie Beziehungen in unserer Zeit funktionieren? Denkst Du das?]

Die offene Beziehung ist keine Frage einer vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen Zeit: Es gab sie schon immer, in Abhängigkeit der beteiligten Individuen, und es wird sie auch immer geben. Sie war auch schon immer ein probates, individuell einsetzbares Konzept, persönliche Freiheit und die gemeinsame, nicht nur flüchtige Liebe miteinander zu verknüpfen. Man darf aber dabei nie vergessen, dass eine offene Beziehung stets mehr geben als nehmen ist: Der eigene Seitensprung wiegt nie so viel wie der des anderen. Wenn man beginnt in Nutzen-Kosten-Bilanzen zu denken, hat man die Beziehung und die Liebe schon verloren! Nein, die offene Beziehung beruht auf dem altruistischen Prinzip, es ist der Gedanke, zuallererst und vordergründig dem anderen aus ganzem Herzen zu gönnen, was ihn erfreut, der sie dauerhaft am Leben erhält – eigentlich das Ideal einer (Menschen-)Liebe. Und erst der zweite Gedanke ist dann die eigene Freiheit, die daraus für einen selbst erblüht – dann allerdings auch ohne das geringste schlechte Gewissen mit uneingeschränkter Freude an der 'Sache'.

Es ist wirklich unglaublich: Irgendwann war ich an dem Punkt angelangt, an dem ich mit großer innerer Freude und Lust an der Lust und Freude Marcellas teilnahm, wenn diese sie gemeinsam von und mit einem anderen Menschen, ob nun Mann oder Frau, empfing. Ein wunderbares Gefühl voller ungeschminkter Liebe zu ihr.

Wenn Du weitere Fragen hast…

Gerd

-> Offene Beziehung<

Französisch mal anders ;)   Wider der blinden Tradition   'Jugendschutz'   Esther und ich   So, jetzt ist es soweit  

27 Gedanken zu “Persönliche Fragen und offene Antworten

  1. das hast du wunderbar auf den punkt gebracht. und wenn ich das nächste mal gefragt werde, warum es mich nicht stört nicht dauerhaft mit meinem liebsten zusammen zu wohnen, warum ich nicht vor eifersucht auf seine mitbewohnerin vergehe werde ich auf deine argumnte zurückgreifen. eifersucht ist ein klotz am bein, eine behinderung. nur dass man diese überwinden kann. und dann immer wieder aufs neue feststellen, der/die will mich, kehrt immer wieder gerne und freiwiilig, freigiebig zurück.nichts besitzen, nichts verkrampft festhalten, freiheit leben…

  2. Ich darf mal ergänzen:

    1) Offene Beziehung, das ist, mit den Worten des großen Dichterfürsten gesprochen, eine Scheißarbeit! Wer kann ernsthaft glauben, auf dem Drahtseil ohne Netz (offene Beziehung) wäre es bequemer als auf der Straße (Monogamie)?

    2) ganz persönlich: ich betrachte zwar Eifersucht als etwas, daß es zu überwinden gilt, ehe es mich überwindet, stelle aber auch fest, daß ich restlos eifersuchtsfreie Frauen mit Mißtrauen betrachte.

    Ich denke, ich fühle mich wohler, wenn meine Partnerin einen ähnlichen Entwicklungsstand hat, wie ich.

    3) Beziehungen darf man nicht an theoretische Ideale anpassen wollen. Das Modell muß dem Menschen dienen und nicht der Mensch dem Modell. Man muß erspüren, wie weit man sich und den Partner fordern kann ohne ihn zu überfordern. Für manche kann schon ein revolutionärer Befreiungsschlag sein, was andere moch als klaustrophob empfinden. Nicht jeder muß eine offene oder promiskuitive oder Swinger- oder weiß der Himmel was für eine Beziehung führen. Jeder muß aber eine gedeihliche Beziehung führen! Raum zum Atmen und genug Sicherheit um Frieden zu empfinden.

    4) amen

  3. Sir Toby, das klingt fast so als müsstest Du Dich gegen meine obigen Worte (die btw deutlich gekennzeichnet individualisiert sind) persönlich verteidigen müssen *grins*

    morgiane: Stets zu Diensten *smile*

  4. Unsinn. Ich schrieb „Ich darf mal ergänzen“, nicht „ich darf mal widersprechen“.

    Wenn es nach Rechtfertigungsdruck klingen sollte, was ja einander ähnlich ist, dann wohl eher mir selbst gegenüber.

    Es IST einfach Arbeit und man HAT einfach seine Grenzen.

    Letztlich sind es ja auch die Grenzen (alle Grenzen), die einen in seiner Identität ausmachen. Ich sehe daß an den wenigen SMlern, die praktisch keine Tabus (aka „Grenzen“) haben. Das sind Menschen, die die Folge von Grenzenlosigkeit traurig sichtbar machen: das gespenstische difundieren des Einzelwesens in die uferlose Umgebungswelt. Aber das ist ein anders Thema.

    Zurück:

    Ich hatte nur ergänzt (sic!), dieweil ich fand, daß Deine klugen, aber nicht abschließenden Ausführungen einige kluge Ergänzungen verdienten.

    Man ließt (und ergänzt) sich!

  5. ich bezog mein Aussage eher darauf, dass ich momentan der falsche Ansprechpartner für eine solche Diskussion bin.. die Wunden sind noch nicht richtig verheilt.. wenn Du verstehst was ich meine 🙁

  6. nein… über meine Beziehungen schreibe ich nicht..erst wenn sie lange Zeit zurückliegen.. ich finde das unfair dem anderen gegenüber.. zu mal er auch mitliest.. das geht nur ihn und mich was an

  7. Dann schreib hier etwas darüber – anonym…

    Darüber schreiben ist fast noch besser als darüber sprechen – und es tut der Seele verdammt gut, es nicht in sich hinein zu fressen.

  8. Du bist eher der introvertierte Typ scheint mir. Ist auch ok.

    Siehst Du, ich nutze meinen Blog eher, um genau das sagen zu können wofür mir sonst kein Ventil zur Verfügung steht – also auch solche Themen. Aber jedem sein Ding eben 🙂

  9. introvertiert ? *vorlachenvomsofafall* also, dass hat mir ja noch keiner gesagt..

    nein, ich selektiere was ich schreibe und veröffentliche.. aus einem naheliegenden Grund.. das ist komplizierter.. wenn Du willst kann ich Dir das mal per Email schreiben

  10. Eifersucht ist ein Gefühlskonglomerat, welches nicht verwechselt werden darf mit einzelnen seiner Komponenten wie zB Neid und Verlustangst, wie sie Kinder situationsbedingt instinktiv empfinden. Eifersucht ist mehr als das. Aber etwas, was Kindern in unserer Gesellschaft (und in anderen eben nicht!) schon von Kindheit an vermittelt wird.

  11. ich weiß nicht, ích bin noch nicht überzeugt…*g*

    selbst Tiere sind efersüchtig-

    ist Eifersucht nicht doch ein einfacher Instinkt?

    MEINS!

    kraul ich einen Hund mehr reagiert der andere empfindlich…

    Oder?

    Vielleicht ist sie deshalb auch so super schwer in den Griff zu bekommen, weil sie nicht aus dem Erzogenen aus dem Verstandesbereich kommt sondern aus den Tiefen des Seins?

  12. Ob ein Tier eifersüchtig ist, kann nur dieses Tier beurteilen. Nicht jedoch der Mensch. Aber der Mensch neigt halt gerne dazu, menschliche Emotionen und emotionale Komplexe auf Tiere zu projizieren 😉

  13. Was mich an der ganzen Diskussion immer stört ist folgendes: monogame Menschen werden von denen,die eine offene (oder polyamoröse) Beziehung führen, oft als eher unreif, besitzergreifend, spiessig, oder gar konfliktscheu, wenn nicht sogar schon fast beziehungsunfähig dargestellt. Das finde ich ziemlich daneben!

  14. Silke, nein, das werden monogame Menschen nicht – jedoch interpretieren sie das nur all zu gerne in die Worte derer, welche eine Offene Beziehung führen, hinein – insbesondere wenn diese für sich beschreiben, dass sie solche Konfliktpunkte dafür erst für sich bewältigen mussten.

    Eine Beobachtung, Silke, welche ich übrigens bereits seit vielen Jahren mache: monogam lebende scheinen ein Unterlegenheitgefühl gegenüber Menschen glücklich lebend in Offenen Beziehungen zu empfinden.

    Vielleicht hat es ja auch etwas damit zu tun, dass monogam lebende, welche solch einen Eindruck gewinnen für sich selbst empfinden, dass einer oder mehrere dieser Gründe ihnen selbst den Weg in eine Offene Beziehung entweder verwehren, diese unrealisierbar, zu schwer oder erst gar nicht anstrebenswert machen? Ich weiss es nicht…

    Ich habe hier in der ganzen Diskussion nicht einen Hinweis auf solche Vorwürfe seitens offen und/oder polyamourös lebender Menschen gefunden, Silke.

    Ich selbst bin zwar der Meinung, dass eine Offene Beziehung eine reifere, weit reflektiertere Form im Vergleich zu einer einfach aus Tradition gedankenlos übernommenen monogamen Beziehung ist – aber ich betrachte im Gegenzug eine reflektierte, nicht einfach gedankenlos angenommene, sondern im Vergleich zu anderen Beziehungsmodellen bewusst gewählte für beide dauerhaft glückliche monogame Beziehung und eine gesunde Offene Beziehung als völlig gleichwertig.

    Der Maßstab für Beziehungsformenwert ist immer das gemeinsame langfristige Glück beider/aller Beteiligten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.