Der K?nigsweg zur Liebe
Prostitution zwischen Ausbeutung und Selbst- bestimmung: Tamara Domentats Apologie des Sexstudios
Von Ruth Hofmann in der Frankfurter Rundschau
Weiblich, ledig, selbstbestimmt – das sind die Prostituierten von heute. Die Berliner Journalistin Tamara Domentat will uns zeigen, wie Frauen, die ihr Geld mit Sex verdienen, leben, warum sie sich f?r die Sexarbeit entschieden haben und wieso sie damit gl?cklich sind. Der Titel des Buches ?Lass dich verw?hnen? klingt nach Prostitutions-PR und ist auch so gemeint. Mit ihrem emphatischen Pl?doyer f?r die Vorz?ge des bezahlten Sex riskiert Tamara Domentat zwar von der ersten Seite an viele Sympathien, die die geneigte Leserin mitzubringen bereit ist, aber man sollte es sich nicht zu leicht machen. Bevor wir mit feministischer Verve oder b?rgerlichem Kleingeist aufbegehren gegen die Verherrlichung prostitutiver Arbeit, macht die Autorin klar, dass es ihr nur um ein ganz bestimmtes Segment der Prostitution in Deutschland geht: Um die „Pionierinnen einer neuen Sexarbeit“, die sich von Rotlichtmilieu und Stra?enprostitution emanzipiert und seit zwei, drei Jahrzehnten einen Paradigmenwechsel in der Prostitution eingeleitet haben. Diese Frauen warten nicht in Barbiemontur an der Stra?enecke, sie arbeiten nicht unter der Regie von Zuh?ltern oder Puffm?ttern und entscheiden beispielsweise selber, welche Dienstleistung sie welchem Freier anbieten. Domentat hat diese Frauen in ihren alternativ studentischen Privatwohnungen oder in kunst- und liebevoll gestalteten Sexstudios besucht und befragt.
Die neun Sexarbeiterinnen, die in dem Buch zu Wort kommen, stammen aus sehr unterschiedlichen Milieus: Eines der Callgirls hat promoviert, eine andere hat nach f?nfzehn Jahren ihren Medienjob gek?ndigt und sich in ihrer Wohnung selbstst?ndig gemacht, eine Dritte ist seit ihrem dreizehnten Lebensjahr Prostituierte und hat die letzten acht Jahre in einem Bordell gearbeitet. Bei allen biografischen Unterschieden haben die Gespr?chsprotokolle der Frauen etwas gemeinsam: Sie erz?hlen eine Erfolgsgeschichte, eine Geschichte gelungener Emanzipation von Zwang und Fremdbestimmung der „b?rgerlichen“ Arbeits- und Beziehungswelt. Angesichts dieser Selbstaussagen, auf die Domentat im Laufe ihrer dreij?hrigen Recherche zu Hauf gesto?en ist, findet sie es erstaunlich, dass die ?ffentlichkeit ein so negatives Bild von Prostituierten hat. Sie kritisiert die halbherzige Aufgeschlossenheit unserer Gesellschaft, die sich in ihren Gesetzen und einem in erster Linie voyeuristischen Interesse nur liberal geriere.
Plausibel ist Domentats These, warum wir uns tief im Innern str?uben, die Sexarbeit als gleichwertiges Lebens- und Arbeitsmodell anzuerkennen. Die Logik des Tausches, auf der die Prostitution so sichtbar basiert, sei uns im Grunde allzu vertraut und gerade deshalb so unheimlich. Fremdbestimmung, Ausbeutung, Tausch – das ganze Arsenal des Prostitutiven, das wir gerne allein in dem Bereich der Prostitution verorten w?rden, durchwirke unsere gesamten Liebes- und Arbeitsbeziehungen. „Kaum jemand investiert Gef?hle, ohne zu hoffen, dass sich der ganze Aufwand lohnt. Und nicht zuletzt entscheiden die Plus- und Minuspunkte auf dem Beziehungskonto ?ber das Schicksal der Beziehung“, schreibt Domentat.
Den versteckten Tauschcharakter nicht-prostitutiver Liebesbeziehungen entdeckt sie vor allem in einem zentralen Rollenmuster, dem ihrer Meinung nach s?mtliche privaten Liebesbeziehungen folgen: Sie will N?he und Verbindlichkeit, er sucht Sex. F?r Domentat ist diese Rollenverteilung nicht naturgegeben, sondern folgt ganz bestimmten Interessen. „Die Vorstellung, dass M?nner mehr Sex brauchen, suchen und genie?en als Frauen, hat es Frauen erm?glicht, informelle Kontrakte um die Illusion eines Mangels, einer k?nstlichen Angebotsknappheit herum zu konstruieren.“ Infolgedessen diene „die sexuelle Verweigerung als heimlicher Triumph, als Geste der Autonomie“ und damit vor allem „beziehungsinternen Machtinteressen“, mit denen Frauen sich gegen?ber M?nnern zu behaupten suchten und dabei ihre eigentlichen Bed?rfnisse, vor allem auch ihre sexuelle Lust aus dem Blick verl?ren.
Wie sehr die klassische Rollenverteilung auch an den Bed?rfnissen von M?nnern vorbeigeht, zeigen die Ausk?nfte, die die Sexarbeiterinnen ?ber ihre Kunden geben. Die M?nner, die zu ihnen kommen, wollten keinesfalls immer nur Sex. Ganz im Gegenteil: Viele suchten jemanden zum Zuh?ren, suchten N?he und Z?rtlichkeit und vor allem einen Freiraum, in dem sie „passiv“ sein d?rfen. „Zu mir kommen die M?nner dann und sagen: ?Wei?t du, ich muss zu Hause immer schon den Anfang machen'“, berichtet zum Beispiel Bordellbesitzerin Evelin. Ergebnisse diverser sexologischer Studien, die die Autorin faktenreich zusammentr?gt, st?rken ihre These, dass es M?nnern weniger um sexuelle Dominanz geht – wie es das Vorurteil ?ber Freier will -, sondern um das sexuelle Begehrtwerden des Mannes durch die Frau, zumindest um die Illusion, dass die Frau wirklich Sex will und sich nicht nur ihm zuliebe darauf einl?sst oder um sich damit etwas anderes – Versorgung, Sicherheit, „Liebe“ – zu erkaufen.
In seiner Kritik scheinbar nicht-prostitutiver Paarbeziehungen erreicht Domentats Buch eine Sch?rfe, die es bei der Betrachtung der Prostitutions-Beziehungen vermissen l?sst. W?hrend die Autorin herk?mmliche Paarbeziehungen, deren „romantisches“ Liebes- und Treueideal zu Recht unter Ideologieverdacht stellt, ist sie regelrecht blind f?r die Widerspr?che des Prostituiertenlebens, von denen die Gespr?chsprotokolle so beredt Kunde tun. Schon die Gr?nde f?r den Einstieg in die Sexarbeit lassen aufhorchen: Frau ist entt?uscht von Aff?ren und Beziehungen, in denen der Mann Angst vor N?he hat, nicht bindungswillig ist und st?ndig nach anderen Frauen schaut. Die Aussagen der Frauen kreisen musterhaft um das Motto: „Zehn Jahre hab ich mich ausbeuten lassen – jetzt will ich Geld daf?r!“ Laura: „Besser, anstrengende Seiten des Partners auszuhalten, weil man Geld daf?r kriegt, als aus Gr?nden der Liebe alles zu ertragen.“ Nadja: „Ich gehe lieber f?r Geld anschaffen, als dass ich durch die Diskotheken ziehe und es unentgeltlich mache.“ Der Einstieg in die Prostitution als Ausbruch aus dem ewig frustrierenden Kampf um Liebe und Anerkennung?
Das Loblied der Autorin auf die Prostitution als gelungenem Emanzipationsversuch wird von den Aussagen der Sexarbeiterinnen L?gen gestraft. Keine der befragten Frauen scheint n?mlich erfolgreich in dem erkl?rten Versuch, ihre W?nsche und Bed?rfnisse nach N?he, Z?rtlichkeit und – man traut sich das Wort kaum noch auszusprechen – Liebe abzustreifen. Aus ihrer Beschreibung der Kontakte zu den Freiern spricht vielmehr die leise Hoffnung, dass man dort, wo man gar nichts an Gef?hlen erwartet, am ehesten etwas geschenkt bekommt.
Wir erfahren, dass manche Sexarbeiterin sich mehr respektiert, gesch?tzt und verw?hnt f?hlt als je zuvor in ihrem Leben. Ein paradoxes Ph?nomen, dessen Kommentierung man sich gew?nscht h?tte. Stattdessen erfahren wir von der Autorin, dass das Sexgesch?ft gerade deshalb f?r viele Frauen eine echte Alternative zur klassischen Paarbeziehung ist, ein „valider Lebensstil jenseits verkl?rter Liebesideale und b?rgerlicher family values“. Nicht ohne Stolz verk?nden die Frauen in Domentats Buch, dass in den Beziehungen zu Freiern, zumal zu Stammkunden die Grenzen zur privaten Liebesbeziehung flie?end sind. Und die Autorin sekundiert, es gebe in der Sexarbeit „Formen sexueller N?he, die Liebesbeziehungen ?hneln“, „aus Kundenbeziehungen (k?nnten) sogar Ehen“ entstehen. „Offenbar kann der k?ufliche Sex etwas bewirken, woran viele Privatbeziehungen scheitern: sexuelle Treue.“
Sexuelle Treue als H?hepunkt der Erfolgsstory Prostitution? Das ganze Buch hindurch hat Domentat geradezu misanthropisch die „Arroganz eines Mainstreams“ beklagt, „der das monogame Beziehungsideal zum einzig g?ltigen Modell weiblicher Selbstverwirklichung“ erkl?re und „hollywoodreife Tr?ume von der Machbarkeit des Gl?cks“ sch?re – als ob es, nebenbei bemerkt, zwischen Monogamie und Prostitution keine Alternativen g?be! -, um dann die Machbarkeit des Gl?cks ausgerechnet in der sozialen Nische Sexarbeit auszumachen. Diese Widerspr?chlichkeit macht Domentats Buch beinahe schon wieder interessant. Der Widerspruch, den es performativ vor Augen f?hrt, erz?hlt von der Kr?nkung, die Liebe und Sexualit?t uns zumuten. Eine Kr?nkung, die gerade deshalb so massiv ist, weil Liebe und Sexualit?t uns gro?e Hoffnung machen. Sie versprechen nichts weniger als den Ausbruch aus der Logik des Tausches, so sehr sie darin verankert sind. Liebe und Sexualit?t verhei?en eine Gabe, die nicht nach einer Gegengabe fragt. Wer liebt, verschenkt sich – wenn auch nur f?r einen kurzen Moment.
Tamara Domentat: „Lass dich verw?hnen.“ Prostitution in Deutschland. Aufbau-Verlag, Berlin 2003, 335 Seiten, 22,50 ?