»Ich schweife ab«

Die Aufgabe bestand darin, mit 8 ganz bestimmten Wörtern eine Kurzgeschichte zu schreiben. Doch diesmal wollte ich keine Direkt-Erotik sondern etwas weit subtileres, etwas rein sinnliches versuchen. Urteilt selbst, ob mir das gelungen ist…

Vietnamesin

Hosianna

Machu Picchu

versanden

Petroleumlampendocht

Kirschblüte

Tango

orgiastisch

Ich schweife ab

Wissen Sie überhaupt, wie ein Petroleumlampendocht aussieht? Meistens sieht man ja nur die schwarz verkohlte, einheitlich wirkende Spitze, wenn man sich interessiert eine gelöschte Lampe anschaut, oder man sieht ein glühendes Auge ohne eigene Struktur, wenn man auf der eigenen Terrasse zuhause oder draußen in einer fremden Wildnis sitzt und die Blicke sich verträumt in dieses einzige, sehr warme Licht versenken. So wie damals, als wir auf halbem Weg zum Macchu Picchu erschöpft das Nachtlager aufgeschlagen hatten, die Gespräche langsam versandeten und die Geräusche des nächtlichen Hochland-Dschungels allmählich die Oberhand gewannen… aber ich schweife ab: Solch ein Docht ist nicht nur ein lieblos zusammengezwirbelter Baumwollstrang, sondern kunstvoll und stark, aber auch nicht zu stark, auf eine ganz bestimmte Art und Weise geflochten, damit er ruhig, zuverlässig und ohne zu schnell an Substanz zu verlieren seinen guten Dienst machen kann. Meist sind sogar mehrere hauchdünne metallische Drähte eingewirkt, um ihn ja nicht umfallen zu lassen. Ein fast schon meisterliches Produkt menschlicher Handwerkskunst. Woher ich das weiß? Eine merkwürdige, ja pittoreske Geschichte. Die Geschichte eines Mannes, der, um seine Tangofertigkeiten zu verbessern, für ein Jahr nach Buenos Aires ging, bei den großen Meistern zu lernen. Ja, dort bilden Männer Männer aus in dieser Kunst. Aber auch Frauen strömen aus aller Welt dort hin, um bei den Meistern zu lernen. So wie diese junge Vietnamesin, welche ein zu dienstbeflissener alter Missionar offensichtlich in einem Anfall geistiger Umnachtung (oder nennt man genau das ‚göttliche Eingebung’?) Hosianna getauft hatte, als sie noch ein kleines Mädchen war. Hosianna! Dabei hatte sie schon zuvor von einem buddhistischen, thailändischen Mönch einen für sie viel passenderen Namen erhalten: ????? ?????????. Lassen Sie sich den mal auf der Zunge zergehen! Ist er nicht wunderschön? Er bedeutet übrigens Kirschblüte, ein wie ich später erkannte, sehr passender Name für sie. Nicht dass ich etwas gegen Hosianna-Rufe hätte, schließlich frohlockt mein Herz heute noch, wenn ich an sie denke. Und das ist oft der Fall. Ich persönlich fand ????? ????????? aber einfach immer viel passender… Schon wieder schweife ich ab! Ich war schon ein gutes halbes Jahr in Buenos Aires, als sich eines Tages die Tür öffnete und sie den Raum betrat, der seit fast einem Jahrhundert des Abends als Bar und Plattform für die Milongas jener dieser einzigartigen Kunst mächtigen Tangueras und Tangueros diente. Am Tag jedoch als Schule für den Meister, wenn das Sonnenlicht seitlich durch die große Fensterfront hereinfiel und in breiten Strahlen den durch die Bewegungen der Tänzer vom knarzenden Holzplankenboden aufgewirbelten Staub durchschnitt.

Und in einen dieser hellen Strahlen trat sie hinein, als ich sie das erste Mal erblickte und die Staubteilchen sie orgiastisch umwirbelten wie verrückt gewordene kleine Planeten um eine wunderschöne, nicht aus unserem Universum stammende Sonne.

Und es war auch genau solch ein argentinischer Morgensonnenstrahl, der uns hell und warm umleuchtete, als sie mich ein halbes Jahr später, so wie es nur ihre Art sein konnte, in die Geheimnisse eines Petroleumlampendochtes einweihte. Der Staub schwebte nun um uns beide herum, wir lagen nach einer unvergessbaren Nacht auf dem großen alten Bett meiner angemieteten Mansarde aus den einst goldenen zwanziger Jahren. Wir waren nackt und unbeschwert wie zwei unschuldige Kinder, weit weg vom großen Rest der Welt.

Warum ich das noch so gut weiß? Es war unsere letzter gemeinsamer Morgen. Mein Flieger ging am späten Nachmittag…

-> EroStories II<

Französisch mal anders ;)   Wider der blinden Tradition   'Jugendschutz'   Esther und ich   So, jetzt ist es soweit  

10 Gedanken zu “»Ich schweife ab«

  1. Jetzt, wo die blauen Stunden der Dämmerung viel zu früh den Tag verabschieden. Jetzt, wo Kerzenschein bereits den frühen Abend vertaubert. Jetzt, wo die warme Decke zum Sofa gehört. Jetzt ist es ganau die richtige Zeit für diese subtile Erotik!

    Danke Gerd.

    Die Vorgabe verflüchtigt sich wie der Staub der Geschichte. Ohne Ecken und Kanten, ohne Zwang kommt sie leichtfüssig daher. Subtil auch in dieser Richtung.

  2. Morgiane, Kurzgeschichten-Forum im Joyclub – treibe mich dort rum, um mal etwas aktiver an meinen 'literarischen' Fertigkeiten zu feilen *smile*

    Sairyaa, ach wenn man diese Deine Fantasien nur auf DVD bestellen könnte… *smile*

    Unbekannte/r, welch überaus treffende Bemerkungen, insbesondere letztere freut mich sehr, fast ist mir als könnte ich ahnen wer Du bist…. (Mmhh, J.?)

    Erdbeertal, ein ans Herz gehendes großes Kompliment, Danke! *smile*

  3. Das schwierigste und zugleich das schönste an einer erotischen Geschichte ist alle wichtigen Details einzubringen, ohne dabei die Fantasie des Lesers völlig zu „löschen“.

    Ich finde du hast es mal wieder geschaft mich ins Traumland zu schicken. Dankeschön!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.