Idomeneo – ein Wendepunkt?

Jedem dürfte das sich in allen Medien wiederzufindende bekannt sein: Die Deutsche Oper in Berlin hat sich angesichts einer ungewissen Sicherheitslage entschlossen, die Wiederaufführungen der Morzartschen Oper 'Idomeneo' abzusetzen – wegen einer einminütigen Szene in der unter anderen Göttern und Religionsstiftern (Poseidon, Jesus, Buddha) auch der abgeschlagene Kopf Mohammeds gezeigt wird. Ein auf den ersten Blick nach dem Karrikaturenstreit und der Kampagne gegen den Papst wegen eines Zitates aus seiner bayerischen Rede naheliegender, erst einmal verständlicher Schritt.

Mal abgesehen davon, dass sowohl das päpstliche Zitat als auch die beanstandete Szene aus 'Idomeneo' völlig aus ihrem – eigentlich der gleichberechtigten Annäherung der beiden Angriffs-Religionen gewidmeten – Kontext gerissen wurde: Ich persönlich empfinde es als einen Fehler, die Schere in unseren Köpfen wirklich so weit gedeihen zu lassen, dass der Eindruck vermittelt wird, der fundamentalistische, radikalisierte Flügel des Islam erntet nun die reifen Früchte für die terroristische und hasserfüllte Saat, die er seit Salman Rushdie (und nicht erst seit den Twin-Towers) fleissig gesät hat.

Aber ich will jetzt hier nicht auf ein Für- und Wider einer Aufführung eingehen sondern für mich persönlich zwei weiterführende, ernste Fragen aufstellen:

Warum erheben nicht endlich einmal wichtige islamische Würdenträger, die ja meist mit einer ausreichenden philosophischen (Theologie ist auch ein Teil der Philosophie) Bildung ausgestattet sind, ihre Stimmen ebenso laut wenn es um Verteidigung auch der Rechte und Gefühle anderer geht? Warum rufen nicht endlich einmal rechtschaffene, human gebildete, lieberale Imame und moslemische Staatsoberhäupter laut heraus, so dass es auch ihre weniger gebildeten Glaubensgenossen hören und vor allem auch verstehen können: Jetzt ist aber mal Schluß, in Wirklichkeit ist es doch so und so…?

Und geht es nicht nur mir so, dass ich als Atheist, nur weil ich in diesem westlichen Kulturkreis geboren und aufgewachsen bin, dass ich plötzlich das Gefühl habe: Mann, da versucht mich eine große Schar von Mitbürgern, Politikern und Meinungsführern in eine Solidaritätsschiene hinein zu pressen, welche da lautet: Du bist einer von uns, Du gehörst zum 'christlichen Lager', die Fronten sind klar, wir sind hier und die sind da drüben? Ich könnte mir auch vorstellen, dass es genau so wie mir auch eigentlich moderaten Menschen auf der anderen Seite so geht…

Beide Fragen berühren mich höchst unangenehm, beide Fragen sind Beschreibung einer Entwicklung meines Selbst, nicht eines Zustandes. Und beide Fragen drängen auf eine Veränderung des Status Quo, nicht nach dessen linerarer Fortsetzung und Manifestation, nicht nach Verhärtung – sondern nach einem großen Schritt zur Seite, zu einer Alternative.

Es wird Zeit, ihr Leute da draussen mit der Macht dazu, hüben wie drüben, auch einmal Machtwörter zu sprechen. Machtwörter jedoch, die laut und eindeutig dazu aufrufen, ungezügelte hetzerische Macht durch Weisheit zu begrenzen und den Völkern Blicke über den rapide wachsenden, mitleidgiftgrünenhassschwarzblutroten Zaun zu ermöglichen, aufzuklären! Macht aus uns hier hüben und jenen dort drüben nicht zwei Lager die sich vor Beginn eines Krieges schon mal gegenseitig beäugen und den Hass in sich heranwachsen lassen, dass es am Tage X dazu reicht, ohne auch mit den Augen zu zwinkern zu töten. Ja: zu töten.

Ich habe nur eine ganz kleine Macht, die ich ausüben kann. Und diese diffuse Macht beschränkt sich auf mein reales Umfeld und diesen Blog. Aber ich übe nun diese meine Macht auf um zu rufen, laut und eindeutig: Ich gehöre weder zu denen hüben noch drüben, ich gehöre dem Frieden, der Menschlichkeit, der aufgeklärten Weisheit. Und ich will, dass ihr alle es mir gleich tut. Informiert Euch, bildet Euch, das ist gute Tradition sowohl im Islam, als auch im Christentum als auch im Atheismus. Informiert Euch, bevor ihr schreit. Und dann aber schreit laut gegen die Stimmen des Hasses. Schreit laut. Alle.

Auch Du.

p.s.: Kann mir jemand diesen Text ins arabische übersetzen?

p.p.s.: Wer will kann diesen Text für seinen Blog übernehmen, verwenden, zitieren – ich bitte sogar darum.

-> Gesellschaftliches<

Französisch mal anders ;)   Wider der blinden Tradition   'Jugendschutz'   Esther und ich   So, jetzt ist es soweit  

7 Gedanken zu “Idomeneo – ein Wendepunkt?

  1. el comandante könnte dir bei der übersetzung vielleicht helfen oder dir sagen wo du es übersetzen kannst.

    ich nehm den text mit, denn du sprichst mir aus dem herzen !

    danke !!!

  2. Na sicher gibt es reichlich Würdenträger muslimischen Bekenntnisses, die durchaus und auch gerade mit Verweis auf ihren Glauben jede Form von Terror ablehnen. Aber die werden von den westlichen medien nicht wahrgenommen.

    Denn

    1. kennt die hier keiner

    2. ist es schlicht uninteressant, wenn jemand allgemein zum Frieden aufruft. Da ist einfach keine Nachricht drinn.

    Ich meine, was für eine Meldung ist das: ein Mensch, den hier keiner kennt, sagt, daß sich doch mal alle vertragen sollen. Wow! Wenn das kein Leitartikel ist!

    Du legst den Finger auf einen wunden Punkt:

    klassische sozialpsychologische Mechanismen wirken zur Zeit auf jeden Einzelnen, sich einer sozialen Gruppe zugehörig zu fühlen, mit der er sich bis dato nicht identifizierte und die ihre Identität aus einer negativen Angrenzung zu einer anderen Gruppe zieht.

    Das ist die klassische Götterdämmerung. Das Vorspiel zu einem sinnlosen Konflikt.

    Da hilft es auch, sich solche Wirkmechanismen der Medien vor Augen zu halten!

    Der Islam kennt keine Figur, die mit dem Papst vergleichbar wäre. Niemand, der so vielen Gläubigen in so herausgehobener Position und mit solcher Gewalt zur Festschreibung von Glaubensinhalten vorstünde. Mithin niemand, über den man berichten könnte.

  3. Sir Toby, mit Verlaub, dem widerspreche ich: Es gibt sehr wohl die gemäßigten Imame in den Moscheen des Orient und des Okzident, ob nun groß oder klein, es gibt sehr wohl saudi-arabische Könige und vergleichbare Präsidenten, Scheichs, Sheiks, Oberste Glaubenshüter in Medina, Mekka, muslimische Interessens-Verbände auch und insbesondere hier in den westlichen Staaten etc. – nur: Sie alle schweigen oder murmelm höchstens, wenn es nicht gerade um Karrikaturen geht. Denn in diesem speziellen Fall wurden selbst diese alle plötzlich sehr laut und erreichten ihre Völker, Gemeinden und Pilger – selbst wenn sie dafür eine Hetz-Tournée in islamischen Ländern machen mussten, wie durch Vertreter eines dänischen Muslimen-Verbandes geschehen.

    Genau solch ein Engagement erwarte ich – nur mit dem genau entgegengesetzten Zweck! Und ich erwarte, dass westliche gewichtige Stimmen solche Leute unterstützen, indem sie sich – nur mal als ein Beispiel – auf Al Dschasira und in vergleichbaren Medien für diese Ziele mit einsetzen, persönlichen politischen Mut einsetzen, sich der Diskusssion mit dem radikalen Islam dort stellen, wo sie stattzufinden hat. Und nicht nur hier bei uns, weitab vom Zentrum der Ursachen.

  4. Ach ja, Sir Toby, mein Widerspruch betrifft natürlich nur den ersten Teil Deiner Ausführungen: Bei den 'klassischen sozialpsychologischen Mechanismen' gebe ich Dir natürlich recht.

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