Sniege

Ihr Name spricht sich Sne-jä aus, bedeutet so viel wie Schnee oder Schneegöttin und ich traf sie gestern bei einem Tango-Salon auf der Schlossterrasse in Langenburg. Fragt mich nicht, was für ein Jucken mich ritt, dort hin zu fahren, es ist ja schließlich über eine Stunde Fahrt. Aber es hat sich gelohnt, zum einen die großartige Kulisse dieses historisch fast vollständig erhaltenen Gebäude-Ensemble, dann das abendliche Feuerwerk vom Schloßturm aus, dessen Asche auf uns herabregnete, so nah und perfekt saßen wir dort. Auch der Auftritt von Marcella mit ihrem Partner Andreij (Ukrainer) war perfekt, die Zuschauer und ich fühlten uns versetzt inmitten eines argentinischen Salons, so überzeugend brachten die beiden ihren argentinischen Tango, die anschliessende Merenge und den Valse als Zugabe zum besten. Atemberaubend. Sie hatte sich den rauschenden Applaus und die Flut roter Rosen mehr als verdient. Und dann stellt mir Jorge (Portugiese, spricht sich Schorsch mit sehr stimmhaften Schs) mit den Worten 'ich bring Dir mal eine schöne Frau aus Littauen an den Tisch, Du wirst staunen' Sniege vor, der das anfangs nicht zu übersehen ausgesprochen peinlich war, da Jorge schon einiges über den Durst getrunken hatte *grins*

Doch als er sich verzogen hatte (dieser casanovsche Tunichtgut *lach* hält es in diesem Zustand nie lange an einem Fleck aus, er ist wie ein Kolibri der mit hoher Frequenz von Blüte zu Blüte schwebt), kamen Sniege und ich trotzdem so langsam ins Gespräch und sie taute dann überraschend schnell doch auf. Was ich dann so alles erfuhr, verschlug mir jedoch teilweise die Sprache… sie war die Strecke vom Nachbardorf den steilen Berg hinauf bis zu diesem Fest zu Fuß gelaufen, konnte daher nicht mehr tanzen, da ihr die Füße deshalb schmerzten. Denn sie hatte kein Geld. Den Eintritt zu diesem Tango-Salon hatte man ihr gestundet da sie schon den Abend zuvor und den Tag mitgeholfen hatte, die Veranstaltung mit vorzubereiten – ihre Chefin hatte sie dazu abgestellt als Freundin der Veranstalterin. Ihre Chefin ist eine erfolgreiche Künstlerin, sie malt und kreiert Skulpturen und hatte sie als Hauswirtschafterin und und vor allem Pflegekraft für ihren Vater ins Land geholt, einem ehemaligen Stuttgarter Professor mit 80 Jahren, der an Alzheimer litt. Und das ganze natürlich schwarz, illegal. Seit zwei Jahren macht Sniege das schon, sieben Tage die Woche, von morgens bis in die Nacht, gerade mal gelegentlich ein paar einzelne Stunden zwischendurch frei für`s Schwimmbad, wenn der Professor schlief. Immerhin 'durfte' sie zwei mal bisher zurückfahren in ihre Heimat, um ihre Verwandten zu besuchen. Da war sie nun vor mir, 29 Jahre alt, sehr attraktiv, mit einem feurigen Glanz in den Augen. Und ich war wütend und zugleich beschämt ob dieser modernen Sklaverei, die ich mitten in Deutschland, ausgeführt von der geistigen Oberklasse unserer Gesellschaft da beschrieben bekam.

Wir unterhielten uns angeregt, sie sagte, am liebsten würde sie Altenpflegerin in Stuttgart werden, in einer ordentlichen Anstellung, aber das sei nicht so leicht, auch wenn solche Kräfte gesucht würden, aber sie hätte keine Zeit, sich auf eine Stelle vorzustellen, da ihre Chefin sie nicht weglassen würde zB für Vorstellungsgespräche… – und sie auch Angst hätte, bei einer solcherart vorgebrachten Bitte sofort ihren Job zu verlieren.

Aber wir sprachen nicht nur über die Schattenseite ihres Lebens, sondern auch über ihre Sehnsüchte und ihr Temperament (welches wie ein innere Glühen kraftvoll aus ihr herausstrahlte) und es war nicht zu übersehen, wie sie aus ihrer derzeitigen gesellschaftlichen Isolation geradezu nach dem Aussen lechzte – und dieses Aussen war in diesem Moment ich. Es war nicht zu übersehen, sie hatte ein ausgesprochen großes Interesse an mir, auch wenn sie völlig verwirrt war, als ich ihr von der bevorstehenden Hochzeit mit Marcella und unserer Offenen Beziehung erzählte. Ein für sie vollkommen neuer Gedanke, der sie sichtlich zugleich hochgradig irritierte aber auch faszinierte. So wie sie mich faszinierte.

Ich gab ihr meine Telefonnummer, sie versprach mir mit ernstgemeinten Worten, innigem Blick aus großen, dunklen Augen und einem zaghaften Griff an meinen Arm, mich anzurufen.

Also wenn von Euch jemand helfen kann, ihr einen (legalen?) Job in Stuttgart zu besorgen, sie ist gelernte Hauswirtschafterin mit ganz passablen Deutschkenntnissen – ihr könntet einen Menschen sehr, sehr glücklich machen.

-> Gesellschaftliches<

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6 Gedanken zu “Sniege

  1. warum löschst du den mist da oben nicht (comment) ?

    so eine schön erzählte story, so verheissungsvoll.

    ich wünscht ich könnte helfen, das ist echt übel was ihr da geschieht, und ich bin sicher sie ist kein einzelfall.

  2. Kann ich gerade nicht löschen – myblog-Fhler verhindern das. Und einfach dann unkommentiert dastehen lassen konnte ich es auch nicht.

    Ja, birgit. Aber ein Fall, von dem ich nun weiß. Und wenn ich kann, dann will ich helfen.

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