'kleinster gemeinsamer Bett-Nenner des sexuell-partnerschaftlichen Neo-Konsens (status quo) contra faszinierende Leidenschaft'

Die seit Mitte der 80er Jahre unübersehbare wachsende allge-meine sexuelle Unlust ist eng verknüpft mit einer Phase, in wel-cher der Sex oft als Horrorszenario gehandelt wurde: Der zu diesem Zeitpunkt erst richtig hochlodernde Geschlech-terkampf, die Auseinandersetzung über sexuelle Übergriffe auf Frauen in Beruf und Alltag, die mediale, den Mob aufputschende Päderasten-„Debatte“, die Thematisierung von sexuellem Missbrauch in der Beziehung und un-kontrollierter sexueller Gewalt aber auch der öffentlich-philosophische Umgang mit der Ansteckungsgefahr mit AIDS waren Inhalte hochemotionaler, noch immer andauernder Debatten.

Folgerichtig schloss sich die Zeit der sogenannten Verhand-lungsmoral an – was bedeutete, Sex ist dann gut, wenn ihn beide Partner in übereinstimmender Form wünschen. So ist Sex – während beispielsweise digital jede noch so abwegige Lustform in Szene gesetzt wird – beim realen Coup im eigenen Bett zu einer recht sauber ausgehandelten Chose geworden. „Sexualdemokratie“ nennt das verächtlich der französische Schriftsteller Michel Houllebecq. Wahr ist allerdings, dass die (grundsätzlich) unterschiedlichen Wünsche zweier sexueller Subjekte heute zu einer Art Tabu mutiert sind. Keiner darf mehr danach trachten, was den anderen womöglich ver-schrecken, aufregen könnte. „Die freundlich-kooperative Regulierung der sexuellen Wünsche auf den kleinsten gemeinsamen erotischen Nenner“, nennt das nüchtern Ulrich Clement. Da droht das unauswegliche Abgleiten jeglicher partnerschaftlichen Sexualität in die Routine ohne Erschütterungen auf der Sex-Scala.

Erst langsam machen sich einige wenige erste wieder auf den Weg zu einem neuen sexuellen Ego in einer authentisch erlebten Lust auf, welche sich nicht mehr ausschließlich an Absprachen, Übereinstimmungen, Rollenvorgaben und Zahlen hält – aber riskieren dabei zu diesem Zeitpunkt noch die gesellschaftliche und partnerschaftliche Ächtung wegen ihres Drangs zur diskonformen Freiheit.

Annie Sprinkle schreibt zu diesem Weg: „Bereiten Sie sich mental darauf vor, sich etwas verbiegen und Risiken eingehen zu müssen. Sagen Sie sich im Voraus, dass Sie sich vielleicht ein wenig unbehaglich fühlen werden, aber gewillt sind, das zu erdulden. Erinnern Sie sich daran, dass dieses Unbehagen nicht ewig andauern wird.“

Das gilt sowohl bei Dingen, die der Partner von sich aus aktiv zu tun wünscht als auch für aktives Wunsch-Tun des Gegen-übers – wobei letzteres ja auch unbedingt eine ausreichende Kommunikation voraussetzt. (Aber das wiederum nicht zum gewohnt-verlockenden Fehler führen sollte, wieder im Sinne der Konsensfindung den Wunsch auszudiskutieren und auf die eigenen Regeln herunterzukürzen – die Beschreibung des Gewünschten soll unbedingt genügen)

Der verdiente Lohn: eigene, verschüttete Begierden werden wachgerüttelt und bisherige Barrieren überwunden, beides wichtige Schritte zu einem individuell authentischen Ich. Abwechslung und Phantasie bekommen wieder eine Chance, gern bescherte Überraschungen beenden die vorher zwangsläufige Monotonie. Und last but not least natürlich der Blick auf die neue, nun endlich doch erfüllbare und erfüllte Lust des Partners, der Glanz in dessen strahlenden Augen – die Voraussetzung überhaupt für Leidenschaft, welche ja bekanntlich nur mit einem Partner gemeinsam erlebt werden kann – auch wenn sich bisher kaum einer fragte, warum das eigentlich so ist. Der unbekannte Faktor, das Neue, das andersartige Mysterium des Gegenübers ist der Grund!

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4 thoughts on “

  1. Ach, ich weiss nicht, ob es sie wirklich gab, die Unlust. Vielleicht war es auch einfach gerade „out“, sich in der Öffentlichkeit über sein Sexleben zu unterhalten, was aber nicht unbedingt heisst, dass man keines hatte.

    Der kleinste gemeinsame Nenner innerhalb einer Beziehung ist sicher nicht der richtige Weg zu einem wirklich lustvollen Miteinander, dabei werden immer Wünsche und Vorlieben auf der Strecke bleiben. Nein, der kleinste gemeinsame Nenner ist nicht genug, für keinen von beiden, denn auf beiden Seiten bleiben Wünsche offen und werden Abstriche gemacht. Dauerdiät quasi.

    Reden. Ja, unbedingt. Sagen, wovon man träumt, was man möchte, wonach einem verlangt. Vom Reden alleine wird die Kuh allerdings nicht satt.

    Jemand sagte auf wunderbare Art, dass es darum geht, sich gemeinsam auszuprobieren, eigene Grenzen finden, die des anderen erkennen, experimentieren und ausprobieren, vielleicht Grenzen sogar geringfügig überschreiten, jedoch den anderen immer achtend und respektierend und niemals ein Nein ungehört verhallen zu lassen. Leben, erleben, ausleben, lernen, von sich selbst und vom anderen, erlernen, sich und den anderen, sich ein- und auslassen, ohne Hemmungen, ohne Scheu, alles das was Lust weckt und Lust macht an sich und am anderen erfahren.

    Gemeinsame Entdeckungsreisen, gemeinsames Erleben, im Bett gemeinsam lachen können, beim ficken reden können, seine Empfindungen mitteilen, Wünsche tatsächlich artikulieren…

  2. Die Unlust gab es nicht, Sophie, die gibt es, sie ist Gegenwart. Immer wieder festgestellt durch führende Sexual- und Gesellschaftswissenschaftler und auch mir durch erlebten Vergleich des sexuellen 'Spieles' und des sexuellen Habitus der 70er, 80er, 90er und heute durchaus nachvollziehbar. Wahrscheinlich kannst Du Dir gar nicht vorstellen, wie es teilweise in den 70ern und 80ern so abging und wie die Geschlechter miteinander umgingen bevor oben beschriebene Ereignisse fast allen die Suppe versalzten.

    Aber ansonsten darf ich Dir – wie auch schon unter dem vorherigen Beitrag – schlicht und einfach recht geben. Frage mich allerdings auch im gleichen Zug, wie bei Dir die Umsetzung dieser Theorien real und konkret ausschauen *grins*

  3. Ich persönlich merke nichts von Unlust, im Gegenteil, niemals nahm ich mich und meine Umgebung geiler wahr als in den letzten Jahren – wahrscheinlich fällt es mir deshalb schwer, an die Unlust zu glauben, von der du erzählst.

    Geschlechterkampf. Ja, es gibt ihn. Und es muss ihn geben, denn gleiche Leistung muss auch gleich bezahlt und gleich gewürdigt werden. Immerhin dürfen Frauen in Deutschland ja wählen gehen…

    Nein, ich lache nicht über die Kämpfe, die von zig Frauen bisher gekämpft wurden und von denen auch ich letztlich profitiere. Aber, und ich mache mich damit vermutlich unbeliebt, ich bin sehr gerne Frau und ich bin gerne „schwach“, auch wenn der Preis dafür meine alleinige Herrschaft über Staubsauger und Spülbecken bedeuten sollte. Ich lasse mich gerne behüten und beschützen, ich klimpere gerne mit den Wimpern und wackele gerne mit dem Arsch. Das bedeutet nicht, dass ich tatsächlich hilflos bin und aufgeschmissen, ohne Kerl an meiner Seite, ich komme sehr gut ohne Kerl klar, kann für mich alleine sorgen und um ein Bild an der Wand aufzuhängen, muss ich auch nicht die Beine spreizen. Ich mag sie einfach nur, die weibliche Rolle, an der sich bis heute nämlich gar nicht viel verändert hat in all´ den Jahren, mag aufschauen zu einem Mann, mag mich führen lassen und mag mich auch in gewissen Punkten unterlegen fühlen dürfen. Wenn Mann und Frau tatsächlich vollkommen gleich sind, wenn sie sich so aneinander angleichen, worin besteht dann noch die gegenseitige Faszination, die gegenseitige Anziehungskraft? Nein, ich bin gerne Frau. Punkt.

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