Mein Traum

Mein Traum? Meine Träume! Oder doch ein Traum?

Ich träume von einem Ich ohne Schranken, von einem Ich jenseits fast jeglicher Konventionen, von einem Ich, dessen Äusseres das Innere wiederspiegeln kann/darf ohne geringste Verzerrungen, und das jederzeit und an jedem Ort in jeder Gesellschaft. Ich träume meinen bedingungslosen Egoismus, der zugleich die bedingungslose Befriedigung der Menschen um mich herum darstellt. Ich träume von vielen Menschen, die selbst das von mir haben wollen, was sich bisher noch in meinem tiefsten Innersten verbirgt, weil es niemand bisher verstehen kann oder gar haben will, dass ihnen fremd, unheimlich, bedrohlich oder ‚pervers’, zu gewagt erscheint. Ich träume davon, dass ‚man’ zu ‚ich’ wird, ich träume davon, richtig erkannt und geliebt zu werden; Unaussprechbares zum Ausdruck bringen zu können auf dass es mir ohne Aufwand oder Überwindung mit der Freude im Geben widerfährt. Ich träume von einer Welt um mich herum, die Gefühle und Dogmen wie Eifersucht, Neid, Besitzergreifung von Menschen, bedingungslose Monogamie mit einem tiefen Gefühl der Freiheit und Erleichterung in ihrem Herzen hinter sich gelassen hat. Ich träume von einer Welt, die ihre Grenzen erkennt und anzweifelt. Ich träume von einer Welt, die ihren Kindern nicht immer wieder die eigenen Grenzen weitervererbt und aufbürdet, wie es mir und uns geschah und wie wir es (trotzdem?) weiterhin tun. Ich träume von Aufklärung und Wissen statt Verboten und Restriktionen, von Geben das zugleich das Nehmen impliziert, so dass Nehmen niemals allein sein Unheil verrichten kann. Ich träume von einer Renaissance* der Philosophie, der Ethik und der Moral – in den Herzen und Köpfen aller Menschen und nicht nur einiger weniger. Ich träume von einer Sprache die jeder versteht, einem Konsens der auf dem Glück des Einzelnen und gleichzeitig dem Aller basiert.

Ich träume davon, dass jedem (auch mir) die Lust des anderen größer und wichtiger ist als die Lust, die jeder einzelne in sich selbst trägt und für sich allein gebiert. Ich träume vom Schweben auf den Wolken, dem ekstatischen Moment, wann immer ich ihn wirklich brauche und will. Ich träume davon, dass Träume den großen Wunsch nach Erfüllung in anderen erwecken. Ich träume davon, dass Liebe etwas unendliches wird und bleibt. Ich träume davon, dass dem Menschen die Angst vor dem Mitmenschen genommen und dafür der Stolz und die Würde geschenkt wird. Ich träume von einer Welt, in der Schwindeln nur ein harmloses, zum Lachen gedachtes Gesellschaftsspiel ist.

Ich träume, dass Menschen aus schierer Freude am Leben frohgemut die Mauern um sich herum niederreissen und der offene Weite, der sonnigen Helligkeit und dem frischen Wind dahinter ohne Angst begegnen und es dann in vollen Zügen geniessen können und wollen. Und nicht in ihren selbstgebauten dunklen Kerkern verharren aus Angst vor dem unbekannten Draussen…

Und ich träume, dass all das den Urkräften der Lust, der Sinnlichkeit, der Erotik und insbesondere der Liebe zu dem verhilft, was sie sein sollen: Die innersten Bindeglieder jeglichen menschlichen Zusammenlebens und miteinander Erfreuens.

Gefragt nach der Erfüllung all dieser Träume schweifen meine Gedanke zu Cervantes Don Quijote, mit dem wichtigen Unterschied, dass er eine schier aussichtslose Odyssee für eine große Vergangenheit bestritt, meine Dulcinea jedoch erst in einer fernen Zukunft geboren werden wird – für mich zwar etwas zu spät, aber belohnt durch die Begegnung mit ihren Vorfahren im Geiste, mit deren aufbrechender und keimender Aufklärung, die mir mehr zu geben vermag, als ich immer wieder zu hoffen wage 🙂

+++

* Vor über 600 Jahren stieg ein Mann auf einen Berg, nur um den Ausblick zu geniessen. Es war der Beginn eines neuen Denkens, eines Zeitalters: Der Renaissance. Der Berg hieß Ventoux.

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9 thoughts on “Mein Traum

  1. „Vor über 600 Jahren stieg ein Mann auf einen Berg, nur um den Ausblick zu geniessen. Es war der Beginn eines neuen Denkens, eines Zeitalters: Der Renaissance. Der Berg hieß Ventoux.“

    Was hat die Renaissance genau mit dem Mont Ventoux zu tun? Bitte kläre mich geschichtlich auf. Ich kenne den Ventoux und mag ihn, speziell die UFO-artige Sternwarte , habe dort aber keine Infos über das neue Denken gefunden. Oder wo kann ich im Netz mehr davon erfahren?

    Danke!

    Lila

  2. Petrarca und die Besteigung des Mont Ventoux

    „Den höchsten Berg dieser Gegend, den man nicht zu Unrecht Ventosus, 'den Windigen', nennt, habe ich am heutigen Tag bestiegen, allein vom Drang beseelt, diesen außerordentlich hohen Ort zu sehen. Viele Jahre lang hatte mir diese Besteigung im Sinn gelegen; seit meiner Kindheit habe ich mich nämlich … in der hiesigen Gegend aufgehalten, wie eben das Schicksal mit dem Leben der Menschen sein wechselvolles Spiel treibt. Dieser Berg aber, der von allen Seiten weithin sichtbar ist, steht mir fast immer vor Augen.“

    So beginnt Francesco Petrarca die berühmte Beschreibung seiner „Besteigung des Mont Ventoux“, die er am 26. April 1336 unternommen hatte. Diese an sich nicht gerade schwierige Gipfelbesteigung markiert eine äußerst bedeutsame Zäsur der europäischen Geistesgeschichte: Sie läutet den Beginn eines neuen Natur- und Weltbewusstseins ein, getragen von dem Glauben, die menschliche Wahrnehmung könne durch eine ästhetische Erfahrung der Landschaft erweitert werden. Petrarca strebt dem Gipfel nicht auf direktem Wege entgegen, er verliert sich immer wieder in Betrachtungen über das seelige Leben.

    Der Dichter und Humanist Francesco Petrarca hat nichts mit den modernen Gipfelstürmern à la Reinhold Messmer gemein. Petrarca wird allein von der Begierde getrieben, die „ungewöhnliche Höhe dieses Flecks Erde durch Augenschein kennenzulernen“. Auf dem Gipfel angekommen, verharrt Petrarca wie gelähmt von seinen Eindrücken: „Zuerst stand ich durch einen ungewohnten Hauch der Luft und durch einen ganz freien Rundblick bewegt, einem Betäubten gleich.“

    Lange Zeit blieb die Bedeutung von Petrarcas „Besteigung des Mont Ventoux“ völlig unbeachtet. Erst der große Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt hat in seiner „Kulturgeschichte der Renaissance in Italien“ betont, Petrarca, „einer der frühesten modernen Menschen“, bezeuge „die Bedeutung der Landschaft für die erregbare Seele. … Petrarca kennt doch bereits die Schönheit von Felsbildungen und weiß überhaupt die malerische Bedeutung einer Landschaft von der Nutzbarkeit zu trennen.“

    🙂

  3. Lieber Promisc!

    Ein Ich ohne Grenzen… interessanter Gedanke, würde aber das nicht im Endeffekt die Aufgabe der Individualität bedeuten? Im Sinne der Erotik definitiv erstrebenswert, das vollkommene Aufeinander-eingehen ohne Angst und Grenzen {schöner Gedanke, realisierbar? Gut, vielleicht bin ich auch einfach bereits ein „gebranntes Kind“…}.

    Ich träume, dass Menschen aus schierer Freude am Leben frohgemut die Mauern um sich herum niederreissen und der offene Weite, der sonnigen Helligkeit und dem frischen Wind dahinter ohne Angst begegnen und es dann in vollen Zügen geniessen können und wollen. Und nicht in ihren selbstgebauten dunklen Kerkern verharren aus Angst vor dem unbekannten Draussen…

    Wunderschön. Wow…

    Ein lieber Gruss!

    Mondlichttänzerin

  4. you may say, i`m a dreamer, but i`m not the only one…

    ja, auch ich träume von einer welt, in der sich die menschen wieder ihres verstandes bedienen, in der sie nicht beim schlüsselwort globalisierung zusammen zucken alles mit ängsten verknüpft wird. ich wünsche mir viele mehr, die sich aus der höhle trauen, um in die weite sehen zu können und stelle fest, es gibt immer weniger davon und eine erziehung zur mündigkeit(adorno) findet kaum mehr statt, die geißel angst treibt viele wieder zurück in ein unmündiges leben, schule verkommt zum leistungsmesser, anstatt eine lebendige zum denken anregende einrichtung zu sein, sexualität wird immer noch und immer mehr mit tabus überfrachtet, viel öfter mit negativen begriffen verknüpft, als endlich dass sein zu dürfen, was sie ist…ein bedürfnis wie hunger nach gutem essen und trinken, dass die menschen gesund erhält…

  5. Ich träume nicht, ich versuche zu leben, auch wenn dieses Leben voller Steine und Hindernisse ist, welche ich erstmal bewältigen und überwinden muss.

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