
„Er hatte kein einfaches Leben, aber seine Klugheit ist immer durchgekommen und hat dabei noch alle bezaubert, die ihn kennen lernten.“
Er war der erste moderne Kosmopolit, einer, der eintauchte in verschiedene Kulturen und sich in den verschiedensten Gesellschaften gewandt bewegte – mit Päpsten und Gelehrten, Halunken und Falschspielern, Königinnen und Nutten. Er war der 'bedeutendste Kopf der europäischen Salons“. Ein geistreiches, humorvolles Universalgenie. Früh hatte er sich, als Priester gelangweilt und betrunken von der Kanzel gestürzt, mit Chemie und Physik, mit Medizin und Alchimie, Rechtwissenschaft, Okkultismus und Esoterik befasst. Die Werke von Horaz und Ariost kannte er auswendig, die 'Ilias' übersetzte er ins Italienische. Er schrieb Theaterstücke, politische Pamphlete, Reiseführer. In einem seiner letzten Werke, dem Roman 'Icosaméron', nahm er Auto und Telegraphie, Flugzeug und Fernsehen vorweg. Er war Dieb, Betrüger, notorischer Spieler, Satiriker, Diplomat, Spion, Geheimagent der Inquisition, ein Freund und Gesprächspartner Voltaires und Katharina der Großen, erfand und organisierte die staatliche Französische Lotterie. War arm und dann auch mal wieder unglaublich reich. Nicht zuletzt war er ein guter Degenfechter und Pistolenschütze. Schnell in seinem Stolz beleidigt und entehrt, duellierte er sich mindestens ein Dutzend Mal. Seine Zeitgenossen beeindruckte am meisten seine spektakuläre Flucht aus den venezianischen Bleikammern im Jahr 1756, der ersten überhaupt gelungenen übrigens, in die er wegen einer Intrige gesteckt worden war.
Er war ein Geniesser, ein leidenschaftlicher Liebhaber, aber keiner, den die Frauen halten wollten. 'Ich war jung, wollte gut leben und alle Vergnügungen geniessen, die man in diesem Alter begehrt', schrieb er später in seinen Memoire. Wo er auf seinen unzähligen Reisen durch Europa auch Rast machte, ob in Rom, Amsterdam oder Madrid, ob in Dresden, Prag oder Solothurn, überall teilte er das Bett mit Mädchen und Frauen, Nonnen und Huren, Müttern und Töchtern, gelegentlich Knaben und Männern – und dies oftmals gleichzeitig. Und er war Gourmand: Die Werbung und Eroberung war mindestens so wichtig wie das Kosten der Eroberung, das er mit einer wirklich erstaunlichen Virtuosität und Ausdauer beherrschte 😉
Wer es jetzt noch nicht weiss: Die Rede ist von
Giacomo Casanova
(geb. 2. April 1725 in Venedig, gest. 4. Juni 1798 in Dux / Böhmen)
auch bekannt als Jacques Casanova de Seingalt.
Der Mann der reihenweise Frauen flachlegte! – Halt, sag ich da, stimmt nicht ganz. Ich bewundere Casanova nicht dafür dass er so viele Frauen eroberte. Ich bewundere ihn als Lebenskünstler, Lebemann, Gelehrten und wegen seinem ganz speziellen Verhältnis zu den Frauen und der Liebe. Der Liebe? Einer der so inflationär mit der Sexualität umgeht? Aber klar doch! Er war gleichzeitig ein unheilbarer Romantiker wie er im Buche steht (im wahrsten Sinne des Wortes: 'Histoire de ma vie'). „Ohne Liebe ist dieses Geschäft eine üble Sache“, so glaubte er. Er verstand es wie kein anderer, auf die Bedürfnisse der Frau einzugehen, liess keine die es bedurfte ohne eine Perspektive für eine versorgte Zukunft zurück. Und er hatte eine große Liebe, die er Zeit seines Lebens nie vergass, obwohl diese es ihm prophezeit hatte: Henriette. Er war auch kein Mann dem es auf die Quantität ankam. Andere Persönlichkeiten wie zB Sarah Bernardt, Guy de Maupassant, Elvis Presley, Alisteir Crowley, Ninon de Lenclos und andere hatten ungefähr zehnmal so viele Sexpartner wie Casanova. Ihn interessierte vielmehr die Qualität jeder Begegnung, er wollte jede Einzelheit geniessen. Die Frauen haben ihn offen geliebt, die Männer heimlich bewundert. Casanova standen die Kammern stets offen – doch nicht wegen seiner sagenumwobenen Virilität. Die Mieder fielen, weil Casanova wie kein anderer wusste, worauf es ankommt. Er scheint die Fähigkeit besessen zu haben, den Frauen deren Gunst er genoss ein ungetrübtes Glück zu schenken, wie flüchtig auch das Verhältnis war. Im Unterschied zu Mozarts 'Don Giovanni', mit dem er fälschlicherweise gleichgesetzt wird, suchte Casanova immer beider Vergnügen. Und kam es zu keiner geistreichen Konversation, blieb das Bett sowieso ungenutzt: 'Fehlen die Worte der Verständigung, verringert sich das Liebesvergnügen mindestens um zwei Drittel.' Als Kitty Fisher, die begehrteste aller englischen Kurtisanen, ihn einlud, lehnte er dankend ab – er verstehe leider kein Englisch. 'Ich habe die Frauen manchmal bis zum Wahnsinn geliebt', schrieb Casanova in seinen Memoiren, 'aber immer habe ich meine Freiheit mehr geliebt; und stets, wenn ich in Gefahr war, sie zu verlieren, hat das Schicksal mich gerettet.' In der Regel waren es die Frauen selbst, die ihn gehen liessen. Insgesamt hat er konkret in seinen Memoiren 132 Liebespartner erwähnt, aber es waren mit Sicherheit weit mehr. Wen es interessiert: Ich habe eine einzigartige sehr aussagekräftige Statistik zur Hand.
„Meine Laster haben niemand außer mir selbst geschadet, die Fälle ausgenommen, in denen ich verführt habe; aber es war nicht charakteristisch für mich zu verführen, denn ich habe nie verführt, ohne nicht unbewusst selbst verführt zu werden.“
An dieser Stelle mal ein dickes Dankeschön an Kleine My, die dieses Beitrag initiiert hat.
Es gibt viele Epochen, die im Vergleich zu unserer den einen oder anderen Vorteil aufweisen, wenn auch meist nur für die Privilegierten wie zB den Adel. Aber es gab auch Zeiten, in denen die Unbeschwertheit für den Menschen auf der Strasse, sofern er denn genügend zum Essen und ein Dach über dem Kopf hatte, leichter fiel als heute. Die Welt war einfach zu verstehen, hatte weniger Regeln, auch und vor allem im eigenen Kopf, man konnte unkomplizierter mit ihr umgehen, die Zahl der Sorgen war überschaubarer und der Umgang miteinander einfach simpler. Über Konsequenten des eigenen Tuns wurde oftmals einfach nicht nachgedacht, man wusste ja eh nicht, was der nächste Tag, der nächste Monat oder das nächste Jahr mit sich brachte, also was soll’s? Wenn wir heute denken, wir leben insbesondere in Bezug auf Erotik, Sinnlichkeit oder Sexualität in der Freien Zeit am bisherigen Höchststand der Evolution der Geschichte: Mitnichten, da machen uns die Menschen fast jeder vorhergehenden Epoche einiges vor! Wenn ich mir nur diesbezüglich die Unbekümmertheit des einfachen Volkes im frühen Mittelalter vorstelle… da kann einem der blasse Neid ins Gesicht stehen. Natürlich haben all diese Epochen auch ihre Nachteile, besonders wenn es um Werte wie Freiheit, materielle Kontinuität und soziale Versorgung geht. Aber ich könnte mir durchaus vorstellen, auch im Mittelalter, der Renaissance oder in der Antike ein zwar sehr wahrscheinlich kürzeres, derberes, schmutzigeres und willkürlicheres, aber dennoch glückliches Leben gehabt zu haben 🙂 So, und jetzt ist Schluss, sonst wird’s ein Buch *grins*
Liest sich sehr spannend!
Merci, Sabs! Steckt auch viel Herzblut drin…
Das letzte Zitat vom guten alten Casanova kann ich nur unterstreichen: wer verführt, der wird unterbewusst dazu animiert vom Verführten, aber hundertpro.-
@ 500 Beine: Bist du nicht der Widerling, der auf dem Blog von Bee>>> sein Unwesen getrieben und sich nicht einmal entschuldigt hat? Und hier dann große Sprüche reißen!
@ promisc: Ich kann mich Sabs anschließen in Bezug auf deine Ausführungen. Aber ich denke, dass du Casanova missverstehst und ihn dazu benutzt, deine Lebenseinstellung zu rechtfertigen. Casanova war nicht promiskuitiv, und er war auch nicht auf Eroberungen aus. Sicher hat er mit vielen Frauen geschlafen, aber er tat das aus Begeisterung, aus einem echten Gefühl der Liebe heraus (wenn der Eindruck seines Tagebuchs nicht täuscht), und jede war die Einzige für ihn. Das führt nicht nur ein bissel weg von jeder Swingermentalität, ohne dich da jetzt angreifen zu wollen.
Lieber Gruß!
Zannalee, mit Verlaub, bitte hierher keinen Streit von woanders hertragen…
Zu Casanova: Du hast recht aber auch wiederum nicht. Er tat vieles aus Liebe, mit aller Ausschliesslichkeit. Aber andere Dinge in seinem Lebenswandel (Äbtissin und Nichte/Novizin zugleich durchs Besuchsgitter, Dutzende von Huren, nicht wenige Triolen und einige orgiastische Gelage, nur als Beispiele) sprechen nicht gerade dafür, dass Liebe allein eine Basis seiner sexuellen Aktivitäten darstellte – er war auch promiskuös und ein ausgesprochener Lebemann seiner Zeit, was das angeht.
Da (in anderen Dingen schon) unterscheidet er sich nicht allzusehr von meinem Lebensgefühl: Promiskuität, aktives Swingen, emotional tiefe Affairen und eine grosse Liebe schliessen sich keineswegs aus, aucn wenn das für Aussenstehende widersprüchlich erscheint auf den ersten oder sogar zweiten Blick 🙂
Hmm, das wusste ich jetzt auch nicht. Ich dachte, es sei so, wie Annette es gesagt hat, und ich hätte nie damit gerechnet, dass er es mit Huren getrieben hat. Das ist jetzt keine Abwertung, aber es überrascht mich eben.
xx
Sabs
Nicht immer leicht, weil die Blog-Welt ja nicht hermetisch abgeriegelt ist, und Beinchen hat sich ziemlich daneben benommen. Mir ist einfach ein bissel übel geworden, als ich seinen Namen gelesen hab. Aber ich bemühe mich!
Ich glaube, ich muss Casanovas Tagebücher nochmal ein bissel aufmerksamer lesen (hab nur eine Zusammenfassung, gekürzte Ausgabe), mir ist da wohl einiges entgangen
.
Es gefällt mir, wie offen du antwortest.
Lieber Gruß!
Annette